Dennis Krückel, NRW berichtet über seine Symptome

Dies ist meine persönliche Geschichte, die ich nun erzählen möchte. Alles fing im Oktober 2001 an, als ich 7 Jahre alt war. Ich besuchte zu diesem Zeitpunkt die zweite Klasse der Grundschule bei mir im Ort. Angefangen hat alles mit einer Art "fiepsen" und einem Augenrollen. Im Laufe der Jahre kamen städig immer neue und wechselnde Tics dazu. Mal bekam ich Tics, die ich noch nie zuvor hatte, mal kamen alt bekannte Tics wieder zum Vorschein. Aber alles der Reihe nach:

Wie schon beschrieben, wurde bei mir eine Art "fiepsen" und ein Augenrollen als erste Symptome von meinen Eltern bemerkt. Zu diesem Zeitpunkt wussten wir noch nicht, dass ich am Tourette Syndrom erkrankt sein sollte. Die Tics wurden im Laufe meiner Kindheit ständig mehr und teilweise für mich selber brutal heftig.

Ende November 2001 bekam ich von meinem damaligen Kinderarzt die Diagnose Tourette Syndrom, nachdem meine Eltern innerhalb der Familie über meine Tics gesprochen haben und meine Tante diesbezüglich Recherchen anstellte. Meine Tante stieß auf einen Artikel im Internet, den sie meinen Eltern zeigen wollte, da sie der Meinung war, dass diese Symptome auf mich zutreffen würden. Also sind wir mit diesen Informationen zu meinem Kinderarzt gefahren, er hat mich daraufhin auch nochmal untersucht und meinte anschließend, dass er sich innerhalb der nächsten Tage bei uns melden wird. Gesagt, getan. Wenige Tage später rief er uns an und teilte uns mit, dass meine Tante mit ihrer Befürchtung Recht behalten sollte. Was darauf folgte, war für mich persönlich der absolute Horror. Ich hangelte mich nahezu von Klinik zu Klinik, war kaum mal eine längere Zeit Zuhause in meinem gewohnten Umfeld. Ich war zuerst in einer Kinderklinik in Mönchengladbach zur erstmaligen Einstellung auf Medikamente gegen das Tourette Syndrom, da ich ohne Medikamente nur noch am Ticen war. Mittlerweile kam der Punkt, wo ich neben dem "Fiepsen" und dem Kopfschlagen- und werfen auch teils sehr starke und sehr laute vokale Tics bekam. Ich fing also an laut zu werden ohne es zu wollen. Mein Kobold im Kopf wollte es so und ich hatte das Gefühl, dass ich meinen Körper gar nicht mehr unter Kontrolle hatte. Ich war ungefähr zwei Monate in der Kinderklinik, um auf Medikamente eingestellt zu werden. Als ich wieder nach Hause durfte war ich natürlich erstmal heilfroh, dass ich wieder in mein gewohntes Umfeld konnte. Doch die Freude hielt nicht lange- schon bald halfen mir die Medikamente nicht mehr und die Tics wurden wieder schlimmer.

Diesmal haben sich meine Eltern im Internet nach einer Klinik schlau gemacht, die speziell Menschen mit Behinderungen aufnahmen und diese auch behandelten. So bin ich letzten Endes in der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Aachen ausgekommen.  Dort habe ich (zusammengerechnet) einige Jahre gelebt und wurde dort auf die verschiedensten Medikamente eingestellt. Doch irgendwann wollte ich nicht mehr auf der Station leben und bat meine Eltern unter Tränen, mich wieder mit nach Hause zu nehmen und mir irgendwo anders einen Platz zu suchen. Daraufhin sprachen meine Eltern mit meinem behandelten Arzt und er sagte, dass er dies mit der Klinikleiterin absprechen müsse. Am zweitnächsten Besuchstag, als meine Eltern mich wieder besuchen kamen, es gab drei feste Besuchstage innerhalb einer Woche, wo man sein Kind besuchen durfte, gab mein behandelnder Arzt meinen Eltern den Tipp, dass ich auf die Tagesklinikstation wechseln könnte, wo ich jeden Tag abends nach Hause durfte, morgens jedoch wieder sehr früh dasein musste. Also haben meine Eltern dies mit mir besprochen und ich willigte dem ein- jedoch erstmal nur zur Probe.

Im Nachhinein betrachtet war das für alle eine schwere Zeit, nicht nur für mich. Meine Eltern hatten jeden morgen und jeden abend die Fahrerei, um mich zur Klinik zu bringen bzw. mich wieder abzuholen. Da meine Eltern mich jedoch nicht jeden Abend holen konnten, weil wir nur ein Auto hatten und mein Vater bis abends arbeiten war, musste schonmal die Familie einspringen, was sie auch gerne getan haben. In der Tagesklinikstation war ich (mit Ausnahme der Wochenenden) gefühlt sechs oder sieben Jahre, genau weiß ich das gar nicht mehr. In meiner Pubertät wurden die Tics dann aber nochmal so schlimm, dass mir geraten wurde, erstmal nicht mehr jeden Abend nach Hause zu fahren und ich mich stattdessen nochmal auf eine normale Station begeben sollte, wo ich auch übernachten konnte, da man mich in dieser Phase gerne 24 Stunden unter Beobachtung haben wollte, weil die Medikamente, die ich vorher bekam oftmals nach wenigen Wochen bereits wieder ihre Wirkung verloren haben. Also wurde ich wieder stationär aufgenommen. Das war diesesmal jedoch ein kleineres Problem für mich, da ich zu diesem Zeitpunkt schon 14 Jahre alt war und entsprechend reifer war als noch mit neun oder zehn Jahren. Nach ca. einem halben Jahr konnte ich auch wieder in die Tagesklinik wechseln, von der ich kam. Nun ging für meine Familie wieder das Prozedere los, wie sie mich am Besten nach Hause holen konnten, wenn es abends soweit war.

Als ich 16 Jahre jung war, wurde erstmalig eine Behandlungsmethode erwähnt, wo ich sehr große Angst vor hatte. Trotzdem habe ich mich auf das Gespräch mit der Spezialistin dieser Behandlungsmethode eingelassen. Das Gespräch war sehr angenehm, die Spezialistin hat mir auch viele Ängste nehmen können. Doch sie meinte auch zu mir, dass diese Methode erst in Betracht gezogen werden könne, wenn ich das 20. Lebensjahr erreicht habe UND vorher jegliche Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft wurden. Die Rede war von der tiefen Hirnstimulation.

Mittlerweile war ich 17 Jahre alt und stand kurz vor meinem Abschluss an der Förderschule, auf die ich von der Grundschule aus gewechselt bin. Es fing für mich ein "neues" Leben an, mit einigermaßen aushaltbaren Tics und dem erneuten Schulwechsel auf eine Schule für Menschen mit Behinderungen, wo ich in einem Internat lebte, da diese Schule in Aachen war und ich nur von Samstags bis Montags zuhause war. Aber das war mir egal, da ich unbedingt einen guten Schulabschluss in der Tasche haben wollte, weil ich später auch richtig arbeiten gehen wollte und ein guter Abschluss dafür nunmal notwendig war. Die Tics wurden mit der Zeit immer ein ganz kleines bisschen weniger und aushaltbarer.

Ich war 19 Jahre jung, als ich mich letztenendes für die tiefe Hirnstimulation entschieden habe. Dies war im Jahr 2013. Da ich einer der wenigen Patienten mit dem Tourette Syndrom weltweit war, die zu diesem Zeitpunkt mittels tiefer Hirnstimulation operiert wurden, wollte mich das Fernsehen begleiten. Diesem habe ich zugestimmt. Nach einem zweiwöchigen Klinikaufenthalt mit diversen Tests und sehr vielen Fragebögen war es dann im September 2013 soweit und ich bekam die Elektroden ins Gehirn eingesetzt. Die Zielregion der Elektroden wird bei jedem Patienten vorher genaustens berechnet. Bei mir war es der Talamus. Die erste Operation am Kopf dauerte um die achteinhalb Stunden. Zwischendurch wurde ich aus der Narkose aufgeweckt, da man Teststimmulieren wollte. Dies wurde vorher mit mir abgesprochen. Als die erste Operation am Gehirn vorbei war und ich im Aufwachraum lag fing ich erstmal an zu weinen. Meine Mama fragte mich, wieso ich weinen würde. Ich sagte nur "endlich hat man mir geholfen, endlich habe ich weniger Tics". Doch dies sollte sich erstmal nicht ganz bewahrheiten. Drei Tage später dann wurde mir ein Generator in den Bauch gesetzt, der über Kabeln, die unter der Haut verlaufen, mit den Elektroden im Kopf verbunden ist. Über diesen Generator kann man sehr viele verschiedene Dinge einstellen und ausprobieren, was mir am Besten hilft.

Mittlerweile war es Frühjahr 2014 und ich durfte langsam wieder zurück in einen geregelten Alltag, in die Schule. Da ich die Operation habe machen lassen, als ich im letzten Jahr war und kurz vor meinem Abschluss stand, habe ich mich dazu entschlossen dieses Schuljahr zu wiederholen. Also bin ich noch ein Jahr länger zur Schule gegangen, was auch nicht so verkehrt war. Denn dadurch hatte ich ein Jahr mehr Zeit, eine Einstellung an meinem Generator zu finden, die die Tics weniger werden ließen. Außerdem lernte ich 2014 meine damalige Freundin in dem Internat in Aachen kennen. Die Tics wurden langsam immer weniger, trotzdem war ich nicht zufrieden mit der Situation. Ich dachte mir ständig "da geht noch was". Mittlerweile weiß ich, dass mein Gefühl Recht behalten sollte. Als ich im Sommer 2015 die Schule erfolgreich beendet habe und in die Ferien startete, habe ich mir einen Termin in der Klinik geben lassen, damit meine behandelnde Ärztin mir nochmal eine neue Einstellung an meinem Genrator verpassen konnte.

Mit dieser Einstellung habe ich im Sommer 2015 meine erste Ausbildung angefangen. Während dieser Ausbildung habe ich leider gemerkt, dass ich immer noch nicht eine Einstellung hatte, mit der ich zufrieden war. Da diese Ausbildung mich körperlich an meine Grenzen brauchte, weil es körperlich sehr anstrengend und in Kombination mit meinem Tics gar nicht aushaltbar war, habe ich diese Ausbildung vorzeitig beenden müssen. Also habe ich im Herbst 2015 nochmals um einen Termin in der Klinik bei meiner Ärztin gebeten mit der Bitte, mich nochmal neu einzustellen. Und diese Einstellung, die ich im Herbst 2015 bekam, die sollte mir endlich den erhofften Erfolg einbringen und mich dauerhaft weniger Ticen lassen.

Und so hatte ich mein altes, sorgenfreies Leben nahezu wieder komplett zurück. Aktuell habe ich nur noch sehr wenige Tics im Vergleich zur Pubertät. Ich würde fast sagen, dass die Tics nahezu komplett weg sind. Das ist natürlich nicht an dem, aber es gibt oftmals Situationen, an denen ich teilweise für mehrere Stunden keine Tics habe. Paradoxerweise habe ich meinen KFZ Führerschein schon ein Jahr vor der Operation, im Jahr 2012, gemacht und ich hatte und habe beim Autofahren keinen einzigen Tic. Doch trotz der tiefen Hirnstimulation und dem dramatischen Rückgang der Tics nehme ich noch ergänzend zur Stimulation Medikamente. Zwar nur sehr wenige, aber in Kombination mit der tiefen Hirnstimulation sind meine Tics dadurch nahezu komplett weg.

Nun bin ich ein gestandener junger Mann mit Tourette Syndrom, der sein Leben eigenständig lebt und das unternimmt, wozu ich Lust habe. Der Kobold in meinem Kopf hat keine handhabe mehr über mich und meine Tics, denn ich habe gelernt, ihn aus meinem Kopf zu verjagen. Nun lebe ich mein Leben schon seit ein paar Jahren so wie ich es möchte und nicht mehr so wie mein Kobold es mir vorschreibt.

Dennis Krückel

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