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Bericht von Nina über ihren Sohn Lars

Heute möchte ich euch aus dem Leben von meinem Sohn Lars (12 Jahre alt) berichten. Alles begann mit ca. 6 Jahren in der Grundschule. Damals traten zuerst leichte Tics ( zB Nase hochziehen) auf, welche zwar mit anhaltender Dauer etwas anstrengend werden konnten, jedoch absolut nicht besorgniserregend waren. Oft hörten wir zu diesem Zeitpunkt im Bekanntenkreis Sätze wie: "Ach, sowas macht meiner auch", oder "das geht schon wieder ganz von alleine weg"! Lars Tics wechselten dann häufig fast täglich, waren manchmal sehr ausgeprägt, dann wieder sehr leicht oder setzen auch mehrere Tage aus.

Eine erste, starke Verschlimmerung kam mit dem Schulwechsel von der Grundschule auf die weiterführende Schule. Kurz vor dem Wechsel waren seine Tics (Vokale Tics) so stark, dass er teilweise nicht einen zusammen hängenden Satz mehr sprechen konnte. Dazu kam starkes Blinzeln.

Zu diesem Zeitpunkt sprach ich das Thema "Tourette" erstmalig bei unserem Kinderarzt an, der dies mit: "Warten wir erstmal ab, Tourette ist wirklich selten und lässt sich aber gut mit Medikamenten behandeln", ab tat. Vermutlich wollte er nicht, dass ich mir Sorgen mache und ahnte selbst nicht, dass ich mit meinem Verdacht tatsächlich richtig liegen sollte. Bis dahin ging Lars relativ problemlos durch die Schule. Offensichtlich konnte er seine Tics gut unterdrücken und im Unterricht bemerkte man kaum etwas davon.

Im Frühjahr 2020 änderte sich dann plötzlich alles, Lars ist zu diesem Zeitpunkt 12 Jahre alt. Immer neue Tics kamen in einer solchen Wucht dazu, dass ich erstmalig an dem Punkt war, dass ich dringend Hilfe wollte und zwar: SOFORT! Lars schlug sich selbst oder seinen Kopf gegen Wände, kratzte, biss (auch meinen Mann und mich), schrie stundenlang Tierlaute oder seltsame Geräusche und das Thema "Tics" wurde erstmalig zu einem Problem für die ganze Familie und ließ mich als Mutter hilflos und mit großen Sorgen zurück.

Die Diagnose "Tourette" überraschte uns zu diesem Zeitpunkt nicht mehr wirklich, so konnte man dem Kind denn nur endlich einen Namen geben. Für Lars selbst war die Diagnose kein Schock. Ich selbst hatte es ja vermutet, dann aber tatsächlich die Diagnose zu bekommen fühlte sich irgendwie seltsam und auch so endgültig an. Viele Gedanken schossen durch meinen Kopf und wie wir nun unser Leben weiter meistern sollten. Ansonsten reagierten alle anderen Familienmitglieder positiv auf unsere "Neuigkeiten". Richtig vorstellen konnten sie es sich allerdings nicht, da sie bis auf leichte Tics nie etwas mitbekommen hatten.  Trotzdem war sein Tourette oftmals eine starke, nervliche Belastung für meine Familie. Gerade bei sehr lauten, lang anhaltenden vokalen Tics war irgendwann der Punkt erreicht, an dem sich meine Ohren nur noch nach Ruhe sehnten. Entspannte Mahlzeiten, ruhige Abende waren zu dem Zeitpunkt gar nicht mehr möglich. Dazu ständige Angst, dass Lars sich verletzen könnte und immer wieder Sorgen. Auch für seinen großen Bruder war es nicht immer einfach. Selbst mitten in der Pubertät und dem Kopf komplett voll mit anderen Dingen gab es durch das Tourette immer häufiger Streit zwischen den Beiden. Oftmals aß mein großer nur noch oben im Zimmer, da die Situation zu Tisch ständig eskalierte und die ganze eh schon nicht so einfache Situation immer noch verschlimmerte.

Wir beschlossen daher auch außerhalb der Familie Hilfe zu suchen. Doch es war gar nicht so leicht, die richtige Unterstützung zufinden. Sätze wie "dann müssen sie die Tics halt verbieten" von einer Kinder- und Jugendpsychiaterin schockten mich, auch wurde Lars oftmals von oben herab behandelt. Mir als Mutter glaubte man auch nicht, da Lars vor Ort keinen einzigen Tic zeigte. Somit haben wir bis heute auch keine Tabletten verschrieben bekommen und versuchen immer noch, das alles alleine zuhause zu meistern.

Für Lars selbst ist es, glaube ich, nicht so belastend. Er möchte die Tics zuhause nicht unterdrücken, meidet aber die Öffentlichkeit, oder einfach Menschenansammlungen. Ich als Mutter fühle mich oft hilflos und meinen Sohn so zu sehen bricht mir häufig das Herz.

Wenn man mich also jetzt fragt, ob Lars am Tourette Syndrom leidet, so leidet er wohl vielmehr an der Gesellschaft, die es bis heute nicht geschafft hat Menschen zu akzeptieren wie auch immer sie sind.

Der Austausch in Tourette-Gruppen hat mir persönlich sehr geholfen. Hier fand ich erstmalig Betroffene mit ähnlichen Problemen und Verständnis für meine Situation. Lars besucht zum jetzigen Zeitpunkt eine Tagesklinik und wird hoffentlich bald wieder den Einstieg in den Schulalltag schaffen. Ob wir den Weg mit oder ohne Medikamente schaffen weiß ich aktuell selbst nicht.

Ich glaube das Wichtigste ist aber, sein Kind so zu akzeptieren wie es ist und gemeinsam in die Zukunft zu blicken.

Dennis Krückel

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